Olaf Otto Becker & Christopher Thomas: Andere Orte. Jenseits der Turbulenz

31 März - 1 Dezember 2007

Olaf Otto Becker

Christohper Thomas

 

Andere Orte. Jenseits der Turbulenz

Credit Suisse, Kunst im Palais am Lenbachplatz, München


Ende März – Dezember 2007

Konzept und Organisation: Dr. Petra Giloy-Hirtz und Ira Stehmann, curators

 

Siebter Szenenwechsel bei Credit Suisse

Das Aufregende der Photographie, das sie zu dem künstlerischen Medium unserer Zeit macht, liegt wohl darin, dass sie nicht unsere Welt abbildet, sondern uns Vorstellungen von Welt offeriert, „Illusionen von Wirklichkeit“. Dass sie, selbst wenn sie sich auf das Reale konzentriert und die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den Gegenstand richtet, doch den Hauch einer „anderen“ Welt, eines „anderen“ Ortes spürbar werden lässt. Dass sie uns Staunen macht, und wir darüber ins Denken oder Träumen geraten oder geradewegs in einen Prozess der Selbsterkenntnis. Hier die uns bekannte Stadt und dort die unbekannte Landschaft, Nähe und Ferne, das Vertraute und das Fremde: zwei Positionen, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich anmuten. Und doch haben sie unübersehbar Gemeinsamkeiten: Beide nähern sich wie in dokumentarischer Absicht ihrem „Motiv“ und schaffen doch eine Ästhetik des Romantisch-Malerischen. Da ist immer auch untergründig Melancholie spürbar, Angst um den Verlust. Beide Künstler bannen das Schöne, das Unberührte, das doch seine Gefährdung schon in sich trägt. Sie halten den Moment als Stillstand der Zeit fest, der nur ein vermeintlicher ist und den Wandel immer schon einschließt. Olaf Otto Becker photographiert im Licht der Nacht, Christopher Thomas im Morgengrauen, als würden sie sich damit außerhalb der Zeit begeben.

Von einsamen Fahrten im Schlauchboot über die Eismeere Grönlands bringt Olaf Otto Becker Bilder überwältigender Schönheit mit, atemberaubende Ansichten eines entlegenen Teils unserer Erde. Wie sein erster Zyklus aus Island “Under the Nordic Light” haben sie in ihrer Ikonographie der Majestät und Stille etwas von der Erhabenheit der Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts. Und zugleich sind sie durch den unbestechlichen Blick des Forschers und ihre exakte geographische Lokalisierung Zeugnis einer Zeit, in der Gletscher im erwärmten Klima verschwinden. So lassen sich diese Bilder auch als Plädoyer zur Bewahrung der Schöpfung lesen, als ein Appell zum Handeln.

Beckers Photographien zeigen Licht und Raum: die Strukturen der Erdoberfläche, von Wasser, Horizont und Himmel, in betörendes Licht getaucht oder in Grau modelliert, spektakuläre Formationen und spröd asketische Landschaft. Kleinste Linien und Formen sind sichtbar: die Algen auf dem Fels, die Strudel des Meeres, winzige Details erscheinen wie Ornamente in der hohen Auflösung und der Perfektion und Qualität des Drucks von eigener Hand ohne digitalen Eingriff. Keine Lebewesen, aber menschliche Behausungen kommen in den Blick, das Innere, die warme Stube: das spitzgieblig schlichte Holzhaus in Rot, Grün oder Blau, umgeben von Gerätschaften des Überlebens; auch hier befremdlich anmutende Zeichen von Zivilisation wie eine Bootsanlegestelle oder eine Müllhalde. Ereignislosigkeit, Einsamkeit. Der Strom der Zeit ist hier ein anderer als der „rasende Stillstand“ der Welt.

Christopher Thomas zeigt eine Stadt der Stille, Menschen-Leere, jenseits der Turbulenz urbanen Lebens. Sie werden München mit neuen Augen sehen! Dabei wählt Thomas gar nicht die verborgenen Winkel, sondern die Präsentationsstücke spätklassizistischer Schauarchitektur der Könige, den Park, den Fluss, das Vertraute, aber so nie Wahrgenommene. Wenn die Stadt schläft, macht er sich auf – über Jahre hinweg – und baut seine Kamera auf. Als könne er so das Wesen aufdecken, das profan Alltägliche löschen zugunsten eines „Ewigen“ oder zumindest Zeitlosen: Englischer Garten, Hofgarten, Nymphenburger Park, Isarauen: im Frühnebel, unter Herbstlaub, die kahlen Bäume wie Schemen im Dunst, unberührte Schneedecken. Orte der Nostalgie und Vergänglichkeit, wie die Burg, das Karussell, der Friedhof. Plätze und Monumente ohne die Spuren der Flaneure und Bewohner.

Der Eindruck des Malerischen dankt sich nicht dem digitalen Pinsel. Wie überhaupt Christopher Thomas sich der Tradition verbindet und die technisch avancierten Möglichkeiten der Manipulation bewusst ungenutzt lässt. Er, der als Photograph einer glamourösen Warenwelt über jegliche Technologie verfügt, vertraut als Künstler der Kraft des Bildes. Und so wählt er auch die Form der Präsentation: hinter Glas in einen Rahmen setzt er seine meist mittleren Formate, mit Passepartout, auf Büttenpapier gar. Was als elegische Erinnerung unser Auge verführt, drückt tiefer den Wunsch aus nach einer intakten Ordnung von Zivilisation und Natur, die es zu schaffen und zu erhalten gilt.

Auszug aus der „Kunst Verstehen Broschüre“ von curators für Credit Suisse, Siebter Szenenwechsel.